Radolfzell ist eine Kleinstadt am Bodensee. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde hier eine Kaserne für die Waffen-SS erbaut und 1937 bezogen. Von ihr gingen in folgenden Jahren Verbrechen aus - bis weit über die Region hinaus.
Die Radolfzeller SS sprengte in der Region Synagogen, deportierte Jüdinnen und Juden in Konzentrationslager, war am 'Anschluß' von Österreich, der Besetzung der Sudetendeutschen Gebiete, der Zerschlagung der Tschechoslowakei und dem Überfall auf Polen beteiligt.
In der Radolfzeller Kaserne war von 1941 bis 1945 ein Außenkommando2 des KZ Dachau integriert.3
Beinahe 65 Jahre lang wurde darüber weitgehend geschwiegen. Erst in den letzten zehn Jahren änderte sich das. So wurden 2010 ein vielbeachtetes, neues Theaterstück aufgeführt, ein Dokumentarfilm gedreht und seit 2014 in der Stadt Stolpersteine für die Opfer des Nationalsozialismus verlegt, worüber in der Presse jeweils ausführlich berichtet wurde.
Mehr zur historischen Aufarbeitung der NS-Zeit und dem Gedenken in Radolfzell findet sich in der Chronologie.
Dokument des Monats
"Verhütung erbkranken Nachwuchses" - Zur Geschichte des Krankenhauses Radolfzell
Krankenhaus Radolfzell. Zeitgenössische Ansichtskarte, um 1935.
Vollzugsmeldung - der Leiter des Krankenhauses Radolfzell, Ernst Josef Suren, an das Gesundheitsamt Konstanz; bestätigt wird eine "erfolgreiche" Zwangssterilisation im Radolfzeller Krankenhaus im April 1938. Staatsarchiv Freiburg, Akten des Staatlichen Gesundheitsamts Konstanz.
Anlässlich der Schließung des Radolfzeller Krankenhauses im Juni 2023 sei daran erinnert, dass die Geschichte des Hauses in der Zeit des Nationalsozialismus bislang nicht hinreichend aufgearbeitet wurde. So kam es unter Leitung der sich ablösenden Chefärzte Otto Mader sen., Walter Brömel, Ernst Josef Suren (siehe oben) und Ernst-Otto Drägert nachweislich zu Zwangssterilisationen im Rahmen des "Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses".
Vgl.: Markus Wolter: Die Radolfzeller Ärzteschaft im Nationalsozialismus. Das Fallbeispiel Dr. med. Hans Foerster (1894–1970). In: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung. Band 138, Thorbecke Verlag, Ostfildern 2020, ISBN 978-3-7995-1727-0, S. 157–192.