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Lotte und Josef Bleicher

Lotte Und Josef Bleicher Stolperstein
Das aus Galizien stammende jüdische Ehepaar Lotte Bleicher, geb. Goldberg (23.02.1899, Strzyzów, – 14.11.1972, Haifa), und Josef Bleicher (16.12.1887, Swilcza, – 07.03.1972, Haifa) lebte ab März 1924 in der Schützenstr. 15, 1925 in der Friedrich­straße 4 und ab 9.6.1933 schließlich in der Höllstr. 1, Radolfzell.

Josef Bleicher, Sohn von Frieda Bleicher, geb. Silbermann und Hermann Bleicher, war seit dem 11. Februar 1910 in der Stadt gemeldet und nahm am Ersten Weltkrieg teil. 1918 kam er vom Kriegsdienst zurück und bezog eine Wohnung am Luisenplatz 7.

Im Mai 1936 sahen sich die Bleichers in Folge der antijüdischen Maßnahmen seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 gezwungen, ihr seit 1924 bestehendes Textil- und Schuhwarengeschäft in der Schützenstraße, später Adolf-Hitler-Str. 1 (neben dem Hotel „Sonne-Post“), aufzulösen und die restlichen Lagerbestände zu verkaufen. Die reichsweite Boykottaktion der Nazis gegen jüdische Geschäfte, Warenhäuser, Banken, Arztpraxen, Rechtsanwalts- und Notarskanzleien am 1. April 1933 hatte in Radolfzell in den Maßnahmen gegen Lotte und Josef Bleicher ihre konkrete Ausprägung, Entsprechung und Wirkung.

Das so „arisierte“ Textilgeschäft ging mit Kaufvertrag vom 1. Mai 1936 am 1. September 1936 an die Firma “(Carl) Renk & (Franz) Esser“ über, die für das noch vorhandene Warenlager einen Betrag von RM 40.000,– zahlten.

Unter den in Radolfzell offenkundigen Repressionen und der sich abzeichnenden Bedrohung lösten die Bleichers auch ihre Wohnung in der Höllstr. 1 auf und zogen noch für vier Monate in eine möblierte Zweizimmerwohnung in Konstanz. Im März 1937 gingen sie zunächst ins belgische Antwerpen zu Eltern und Geschwistern Lotte Bleichers und emigrierten Mitte April 1937 schließlich nach Haifa, Palästina. Wie für alle jüdischen Emigranten nach 1933 bestand auch für die Bleichers bei ihrer „durch die Rassenverfolgung bedingten Auswanderung“ (BEG) keine Möglichkeit, ihr Vermögen in das Emigrationsland zu transferieren; es wurde nach Maßgabe des sogenannten „Reichsflucht­steuer-Gesetzes“ von 1934 als Zwangsabgabe vom NS-Staat vollständig eingefordert. Insgesamt summierten sich die Verluste an Einkommen und Vermögen durch „Arisierung“, Verfolgung und Flucht nachweislich auf RM 266963. Die durch und nach ihrer Emigration nahezu mittellos gewordenen Bleichers lebten von der Unterstützung durch die Angehörigen Lotte Bleichers zunächst in Antwerpen, später in Haifa, wo sie erst 1950 mehr schlecht als recht durch Gründung einer Wäscherei ihr finanzielles Auskommen zu finden suchten.

Josef und Lotte Bleicher wurden 1953 als „Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung“ gemäß § 1 BEG (Bundesentschädigungsgesetz) anerkannt und erwirkten in einem langjährigen Wiedergutmachungsverfahren als „aus Gründen der Rasse“ Verfolgte Anspruch auf „Kapitalentschädigung“/Rente, da sie, gemäß der Gesetzesvorlage, nachweislich „erheblichen Schaden in beruflichem oder wirtschaftlichem Fortkommen erlitten“ hatten. Lotte Bleicher erwirkte darüber hinaus die Anerkennung, als Opfer nationalsozialistischer Verfolgungsmaßnahmen „Schaden an Körper und Gesundheit“ erlitten zu haben.Das Ehepaar hatte keine Kinder. Lebende Angehörige waren nicht zu ermitteln.

 

Recherche: Markus Wolter
Patenschaft: Marianne und Markus Wolter


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Manuskript der Rede anlässlich der Verlegung am 28. Juni 2014

Quellen

Die umfangreiche, mehrbändige Wiedergutmachungsakte Josef und Lotte Bleicher, Staatsarchiv Freiburg: Landesamt für die Wiedergutmachung: Außenstelle Freiburg, Josef Bleicher (1887-1972), F 196/1 Nr. 7221, Lotte Bleicher (1899-1972), F 196/1 Nr. 8492/1-8492/5. Zu den Wohnadressen in Radolfzell: Einwohnermeldekarte von Josef Bleicher, Stadtarchiv Radolfzell.

Dokumentation zu Verfolgung und „Arisierung“ im Fall Bleicher: Markus Wolter: Juden in Radofzell, 2013.